Berührende Einblicke in die Kolonie

Ausstellung im Haus des Bergmanns zeigt das frühere Leben der Bewohner der Altsiedlung

Hier wird Bergbautradition hautnah erfahrbar: In der Altsiedlung in Kamp-Lintfort wurde im Museum „Haus des Bergmanns“ am Sonntag die neue Dauerausstellung eröffnet, welche die Siedlungsgeschichte sowie den Alltag vieler Bergarbeiterfamilien in all seinen Facetten darlegt.

Seit 2007 betreibt die Fördergemeinschaft für Bergmannstradition das Museumshaus auf der Ebertstraße in Kamp-Lintfort, in dem bislang die Zwanziger- und Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts anhand von modellhaft möblierten Räumen im Fokus standen. Nun wurde das Museumsinnere in Teilen im Auftrag der Stadt Kamp-Lintfort erweitert. Dazu wählten die Kuratoren Susanne Abeck und Dr. Klaus Pirke in Zusammenarbeit mit dem Gestalter Klaus Seelig einen sozialgeschichtlichen Ansatz. Es gehe darum, die Geschichte der Kolonie über die Gesichter der Kolonie zu erzählen, erklärt Pirke.

2021 begannen die Arbeiten an der Ausstellung. Hierzu sammelten die Kuratoren Fotografien aus öffentlichen wie auch Privatarchiven ehemaliger und aktueller Siedlungsbewohner. „Wenn man ein Bild zum Reden bringen möchte, muss man viel Recherche betreiben“, offenbart Pirke. Gemeinsam mit seinen Kollegen habe er Meldekarteien und Adressbücher durchsucht, „und so präpariert sich dann die Geschichte aus dem Bild“. Die Familienfotos, Portraits und Impressionen aus der Altsiedlung samt Informationen zieren nun die Wände des Museumshauses.

Betritt man die Räume mit jeweils eigenem Themenschwerpunkt, so blicken einem Kinder, Frauen und Männer jeglichen Alters entgegen – ihre Blicke teils freudig, teils ernst. Das Kolonieleben war keinesfalls ein Zuckerschlecken. „Das Wasser kam frühestens in der Nachkriegszeit in die Häuser. Die Wasserzapfstelle war deshalb lange Zeit ein Treffpunkt der Bewohner“, berichtet Klaus Pirke beispielhaft aus der Lebensrealität des vergangenen Jahrhunderts. Wer selbst testen möchte, wie schwer 20 Liter Wasser in Eimern sind, kann dies an einer der Ausprobierstellen der Ausstellung tun. Anstelle von Wasser enthalten die blauen Eimer Gewichte.

Einer Raum weiter wird das Leben in der Werkswohnung in seinen verschiedenen Dimensionen veranschaulicht. Mit magentafarbenen Umrissen wurden klassische Möbelstücke der Wohnküche eingezeichnet. Neun rote Kreise sollen Familienmitglieder darstellen. Der Zweck des Kunstgriffs der Kuratoren wird schnell deutlich, denn viel Platz bleibt den Besuchern nicht, wenn sie nicht auf dem Herd oder der Großmutter stehen wollen. Weitere Themen, die im Obergeschoss Raum finden, sind die Geselligkeit in der Siedlung, die unter anderem das Vereinsleben in Sport, Musik und Politik umfasst, sowie Migration und Vielfalt. „Wir haben 37 Nationalitäten und Regionalitäten dingfest machen können, gehen aber eher von 70 bis 80 aus“, schätzt Pirke ein. „Da war viel Raum für Reibereien, aber auch für Solidarität.“

Nostalgischer Ort für Zeitzeugen

Viele, die an der Ausstellung durch das Stiften von Fotos und Exponaten für die Modellwohnung oder Interviews zu Geschichten ihrer Familien in der Altsiedlung mitgewirkt haben, sind zur Eröffnung angereist. So auch Hans Kämper. Der 75-Jährige zog 1970 für sein Studium nach Bremen, wuchs jedoch in der „Kolonie“ in Kamp-Lintfort auf. „Das ist für mich sehr berührend, dass alles zu sehen“, gesteht er. Für die Ausstellung hat er viele der Fotos gestiftet und einen O-Ton aufgenommen. Seine Frau Kerstin Kanertz ist ebenfalls begeistert: „Selbst für mich als Hamburgerin ist das toll. Ich erkenne hier echt viel von früher wieder, zum Beispiel die dreiteilige Matratze“, schwärmt sie.

Mit dieser Erfahrung scheint sie nicht allein zu sein. „Für mich ist das Haus pure Nostalgie“, betont Barbara Drese, stellvertretende Bürgermeisterin, in ihren Eröffnungsworten. Auch Ralph Elster vom LVR hebt hervor: „Das findet man sonst nur noch in Büchern so“, und fordert, Bergbautradition zu bewahren. Um Kindern und Jugendlichen dieses Stück Geschichte weiterzugeben, steht die Idee im Raum, das Haus des Bergmanns zu einem außerschulischen Lernort weiterzuentwickeln, wie Susanne Rous vom städtischen Kulturbüro in Aussicht stellt.

Quelle:

WAZ / NRZ vom 06. Mai 2024 / Autorin: Liv Schwarzer

Fotos von Harald Hau und Dirk Thomas

Einladung zur Wiedereröffnung im Haus des Bergmanns

 

Museum erzählt vom Leben und Wohnen in der Kolonie

Die Dauerausstellung im Museum „Haus des Bergmanns“ ist wieder geöffnet. Sie zeigt nun die Siedlungsgeschichte der Kamp-Lintforter Altsiedlung und den Lebensalltag der Menschen in der Kolonie. Was die Besucher auf dem Rundgang erwartet.

Knapp zwei Jahre blieb das „Haus des Bergmanns“ an der Ebertstraße 88 in Kamp-Lintfort wegen Umbauarbeiten für den Besucherverkehr geschlossen. Am Sonntag freuten sich stellvertretende Bürgermeisterin Barbara Drese, Susanne Rous, Leiterin des Kulturbüros, Ralph Elster, Mitglied der Landschaftsversammlung des Landschaftsverband Rheinland (LVR), und Norbert Ballhaus, Vorsitzender des Vereins „Fördergemeinschaft für Bergmannstradition“, über die Wiedereröffnung des Museums.

Das ehemalige Wohnhaus für zwei Familien wurde 2006 als Museum gegründet. Es liegt mitten im Herzen der zwischen 1907 und 1930 erbauten Altsiedlung Friedrich Heinrich. Die eine Haushälfte war mit viel Liebe fürs Detail als Wohnung einer Bergarbeiterfamilie von damals nachgestellt worden, während Technik-Fans von Grubenflair eher in der zweiten Haushälfte auf ihre Kosten kamen. Mit der Neugestaltung des ehemaligen Geländes der Zeche Friedrich Heinrich als Areal der Landesgartenschau 2020 erhielten alle Einrichtungen mit Vermittlungsangeboten zur Bergbaugeschichte (Infozentrum, Vereinsheim, Lehrstollen, Förderturm und „Haus des Bergmanns“) deutlich voneinander abgegrenzte Themenschwerpunkte zugeordnet. Die Technik aus dem kleinen Bergmannshaus bekam so eine neue Heimat.

Mit der Neukonzeption und dem anschließenden Umbau der dadurch freigewordenen zweiten Wohnhaushälfte wurde 2022 begonnen. Über den LVR gab es nach Angaben von Susanne Rous dafür 140.000 Euro an Fördermitteln. Die Bergbautradition sei linksrheinisch, vor allem in Kamp-Lintfort, vorbildhaft dokumentiert, lobte der LVR-Vertreter in seiner Rede die Stadt. Auch Norbert Ballhaus betonte danksagend das Engagement aller Beteiligten bei der Wiederherstellung der zweiten Doppelhaushälfte, insbesondere das der Ehrenamtlichen seines Fördervereins, die seinen Angaben zufolge mehrere tausend Arbeitsstunden in das Projekt investiert hätten.

Das Museum „Haus des Bergmanns“ zeigt nun die Siedlungsgeschichte der Altsiedlung und den Lebensalltag der Menschen in der für die Bergarbeiter geschaffenen Kolonie. Für die Besucherinnen und Besucher des Museums ist demzufolge nicht nur der Arbeitsalltag auf und mit der Zeche zu sehen, sondern auch das Leben in der Kolonie, dokumentiert durch viele (private) Bilder und Aufnahmen sowie an Hörstationen eingespielte Interviews mit einst hier Lebenden.

Während der alte Museumsteil. Auch „Puppenstube“ genannt, mit einem historischen Nachbau von Plumpsklo, Waschküche, „Guter Stube“ und Schlafraum weitgehend unverändert blieb, wurden die neuen Räume systematisch nach Themen geordnet hergerichtet. Die Verbindung beider Wohntrakte übernimmt dabei ein Kleiderschrank, durch den die Museumsgäste vom alten Elternschlafzimmer im ersten Obergeschoss in den ersten Raum der Ausstellungsneukonzeption gelangen, in dem es um das Thema Vereinsleben geht. Es folgt im zweiten Raum der gleichen Etage das Thema Heimat.

Hier erfährt der oder die Interessierte, dass die Altsiedlung Menschen aus etwa 40 verschiedenen Herkunftsländern und Regionen einmal beherbergte. Daran anschließend präsentiert sich im Erdgeschoss eine unmöblierte Wohnküche von 15 Quadratmetern Fläche sowie ein weiterer Raum, der mit „Leben als ‚Kolonisten‘“ betitelt ist.

Sonntags und mittwochs geöffnet

Öffnungszeiten

Der Besuch des Museums „Haus des Bergmanns“ ist für Gästegruppen über info@bergmannstradition.de bei der Fördergemeinschaft für Bergmannstradition buchbar. Ansonsten gibt es feste Öffnungszeiten: sonntags, 14 bis 17 Uhr, und mittwochs, 11 bis 15 Uhr. Weitere Informationen gibt es unter https://www.bergmannstradition.de

Quelle:

Rheinische Post vom 06.05.2024 / Autor: Olaf Reifegerste

Fotos von Harald Hau und Dirk Thomas

Einladung zur Wiedereröffnung im Haus des Bergmanns